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„Geschichten in Gedichten“
Ein Balladenabend der 7. Klasse am 13. März 2015

Arthur Göser schildert seine Eindrücke

Freitagabend ists, das Wochenende beginnt. Es ist die Zeit, abzuspannen. Kulturzeit. Und richtig: Der Gelbe Saal aufgelockert dekoriert mit kleinen Tischen, am Eigang eine schicke Bar mit verführerischen Drinks, man bedient sich, gesellt sich, plaudert. Varieteestimmung. Ob die dargereichten Knabbersachen reichen? Sie werden reichen! Man wird über den Abend hinaus zu knabbern haben.
Die „Fanfare“ für Posaune eröffnet das Programm und schlägt den neuen Ton an, nicht so harmlos wie „Geschichten in Gedichten“. Die Gemütlichkeit gerät ins Wanken und wird ihren jüngsten Tag erleben.
Denn eine „Tarantella“ folgt, so der Name der Ballade von Hilaire Belloc. In beschwörenden Rhythmen dringen zwei Chöre rechts und links auf die alte Miranda ein: „Do you remember an inn, Miranda? / Do you remember an inn? / (…) Never more, Miranda, never more – / (…) no sound / but the boom of the far waterfall / like doom, / like doom“. Am Ende ist kein Erinnern mehr, nur ein fernes Dröhnen des Wasserfalls, fallende Wasser des Lebens. Kerze aus. Dunkel.
Die Sache hat Fahrt aufgenommen. Nicht mehr außen vor, sind wir mitten drin. Es geht um Leben und Tod, Liebe und Leidenschaft, Hoffnung und Enttäuschung. Und es gibt kein Entrinnen mehr aus diesem abendlichen Themenkreis: Hingabe und Konzentration der Akteure bannen immer wieder aufs Neue, immer wieder aufs Neue reißt die Kraft der Inszenierung mit. Und die musikalischen Intermezzi besänftigen allenfalls leicht.

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Theodor Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ tritt auf, der den Herbst und die reifen Birnen liebt und damit freigiebig ist, der eine reife Birne mit ins Grab nimmt, damit einst ein Baum daraus werde, ahnungsvoll vorausschauend, dass Generationen folgen, in denen Geiz geil ist.
„Nis Randers“ heißt die nächste Ballade. Sie ist von Otto Ernst und erzählt vom selbstlosen Mut des jungen Nis, seiner dramatischen Rettung eines Schiffbrüchigen, der dann als tot geglaubter Bruder Uwe erkannt wird, so dass die verzweifelte Sorge der Mutter um ihr letztes Kind sich in doppeltes Glück verwandelt.
Und weiter. Nur „zwei Worte“ braucht es in Conrad Ferdinand Meyers Ballade, damit Morgenland und Abendland zusammenkommen, wenn, ja, wenn diese zwei Worte einhergehen mit einer Liebe, die keine Gefahr, kein Hindernis, kein Ansehen scheut.
Doppeltes Glück, siegende Liebe, wenn auch an Abgründen entlang und über Klippen hinweg, verlangen nach einem Kontrapunkt und finden ihn in Goethes „Erlkönig“, der rhythmisch an die Eingangs-Tarantella sich schmiegt. Nicht nur rhythmisch. Denn das Kind ist am Ende eines schattenhaften Gewaltritts tot, dem machtlosen Vater weggenommen vom „Erlenkönig“.
Auch ein Balladenabend gewinnt Steigerung aus Polarität. Also folgt die „Hirtenstrophe“ von Peter Huchel, in der ein Kind verheißungsvoll geschenkt wird. Vorab den Hirten um Bethlehem, die es im Stall besuchen, dann aber erbost und enttäuscht sind, als sich dies Kind mehr für das Horn des wärmenden Ochsen interessiert als für ihren Besuch, ihr Anliegen: „Es brannte ab der Span aus Kien. / Das Kind schrie und schlief ein. / Wir rührten uns, feldein zu ziehn. / Wie waren wir allein. / (…)“ Die Verheißung, „dass diese Welt nun besser wird“, bleibt im Raum stehen. Auch wir stehen auf.
Pause.

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Aus der Not eine Tugend zu machen, ist auch eine Kunst. Aus der Not der doppelten Besetzung wird eine Tugend der Wiederholung. Allerdings der Wiederholung im Krebsgang. Ohnehin ist mit der „Hirtenstrophe“ der Nullpunkt unserer Zeitrechnung erreicht. Von dort aus können wir uns getrost schrittweise wieder dem Anfang nähern. Die zweite Durchführung ist also eine Art Reprise in Form einer Spiegelung, an deren Ende wir wieder der „Tarantella“ begegnen. Und damit dies Ende eine Coda ist, ein bekräftigender Abschluss, kommt vor der „Tarantella“ Goethes gruseligheiterer „Totentanz“ zum Zug, an dessen Ende, Schlag Eins und mit zerschellendem Gebein, ein geisternder Toter ein zweites Mal stirbt, endlich Ruhe findet, vielleicht.
Wir finden keine Ruhe, nicht auf dem Nachhauseweg und später auch noch nicht. Die Intensität, in der die 7. Klasse diesen Balladenabend dargeboten hat, ist im Wortsinn eindrücklich, eindrücklich im Detail und im Ganzen. Die Bewegung dieses Abends gleicht der einer Parabel. Am Ende sind wir auf der Höhe des Anfangs und wieder geöffnet für das, was kommt.

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